Gerinnungserkrankungen verstehen

Unser menschlicher Körper ist ein Wunderwerk der Natur. Im millionen-jahre-langen Verlauf der Evolution hat er es gelernt, sich gegen verschiedenste Gefahren zu schützen. Eine dieser Gefahren ist der Blutverlust durch Verletzungen. Mithilfe der Blutgerinnung gelingt es dem Körper bei kleinen und mittleren Wunden, die unerwünschten Öffnungen der Blutgefäße so schnell wieder zu verschließen, dass der Blutverlust keine bedrohlichen Ausmaße annehmen kann.

Die uns so selbstverständlich und einfach erscheinende Blutgerinnung ist in Wahrheit ein empfindlicher Balanceakt für den Körper. Schließlich darf das Blut weder zu wenig noch zu stark gerinnen. Gerinnt es zu wenig, werden Wunden nicht geschlossen – und gerinnt es zu stark, entstehen Blutgerinnsel, welche die Blutgefäße verstopfen.

Die Verstopfung eines Blutgefäßes klingt erst einmal harmlos – aber in Wahrheit stellen verstopfte oder sonst wie beschädigte Blutgefäße die häufigste Todesursache überhaupt dar, denn sie sind der letztliche Grund, warum Menschen an Herz-Kreislauferkrankungen versterben.

Das empfindliche Gleichgewicht der Blutgerinnung funktioniert bei den meisten Menschen hervorragend. Allerdings erhöht sich in den letzten Jahrzehnten die Zahl der Menschen, bei denen dies leider nicht der Fall ist.

MedizinerInnen nutzen bei der Erforschung und Behandlung von Blutgerinnungsstörungen zwei Unterscheidungen. Die erste Unterscheidung haben Sie bereits kennen gelernt: Es gibt Blutgerinnungsstörungen mit gesteigerter Blutungsneigung und mit gesteigerter Thromboseneigung. Erstere werden daher auch Blutungsneigungen- und letztere Thrombosenneigungen genannt.

Um den Unterschied zwischen Minus- und die letzteren Blutungs- und Thromboseneigungen besser verstehen zu können, hilft es, nochmal genauer hinzuschauen, wie es unserem Körper gelingt, kleine und mittlere Öffnungen von Blutgefäßen schnell wieder zu verschließen. Das läuft im Grunde in drei Schritten ab.

Im ersten Schritt ziehen sich die verletzten Gefäße möglichst weit zusammen, um den Abstand zwischen den Rändern der unerwünschten Öffnung möglichst klein zu halten. Da sich allein dadurch schon der Austritt von Blut aus der verletzten Stelle verlangsamt, wird dieser erste Schritt auch als `Blutstillung‘ bezeichnet.

Im zweiten Schritt kommt ein besonderer Bestandteil des Blutes zum Einsatz, nämlich die im Knochenmark gebildeten `Blutplättchen‘, auch `Thrombozyten‘ genannt. Die Thrombozyten erspüren sozusagen das verletzte Bindegewebe an den Wundrändern, haften sich dort und aneinander an und schaffen so eine Art natürlichen Verband um die Wunde.

Erst im dritten Schritt beginnt die eigentliche Blutgerinnung.

Unser Blut, das auf den ersten Blick wie eine ganz normale Flüssigkeit wirkt, besteht in Wirklichkeit aus vielen verschiedenen Flüssigkeiten. Es ist derartig komplex zusammengesetzt, dass MedizinerInnen das Blut auch als `flüssiges Gewebe` oder `flüssiges Organ‘ bezeichnen.

Umgekehrt hat der Körper auch Methoden entwickelt, um Blutgerinnsel aufzulösen. Blutgerinnsel können z.B. durch langes Liegen entstehen, wenn jemand krank ist und sich nicht bewegen kann. Diese Blutgerinnsel können Blutgefäße verstopfen. Die Verstopfung führt dazu, dass die dahinter liegenden Gefäße nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt werden – oder sogar dazu, dass Gefäße platzen. Blutgerinnsel können somit zu Schlaganfällen, Lungenembolien und Herzinfarkten führen.

Der Körper verfügt aber mit der sogenannten `Fibrinolyse‘ (von)‘über die Fähigkeit, sich genau davor zu schützen. Die Fibrinolyse ist der Koagulation genau entgegengesetzt. Dabei löst der Körper mithilfe eines körpereigenen Stoffes, des sogenannten Plasmins Blutgerinnsel auf.

Bei Menschen mit Gerinnungsstörungen funktioniert aus verschiedenen Gründen nur eine oder sogar keine dieser beiden Methoden richtig.

Die zweite Unterscheidung bezieht sich auf die Ursachen der Blutgerinnungsstörungen: Sowohl Blutungs- als auch Thromboseneigungen können angeboren oder erworben sein.

Angeborene Blutgerinnungsstörungen werden durch Veränderungen der Erbinformationen verursacht, die in der Eizelle der Mutter und/oder im Samen des Vaters gespeichert sind und an das Kind weitergegeben, also vererbt werden. Dabei werden nicht nur Informationen über so harmlose Dinge wie die Augen- und Haarfarbe weitergegeben, sondern auch darüber, wie der Körper mit seiner Blutgerinnung umgeht.

Veränderungen der Erbinformationen, welche eine weniger oder gar nicht gut gelingende Blutgerinnung bewirken, können dabei sowohl bei dem Vater als auch bei der Mutter auf zwei Weisen entstehen: Die erste Weise ist der Zufall, mit dessen Hilfe die Evolution sozusagen immer wieder etwas neues ausprobiert - was sich dann durchsetzt oder eben nicht durchsetzt. Die zweite Weise sind Beschädigungen der Erbinformationen, die sensibel auf Umwelteinflüsse und andere Bedingungen reagieren.

Die Ergebnisse solcher Veränderungen können buchstäblich eigenartig sein: Manche Menschen bekommen auf diese Weise sogar beide Arten von Gerinnungsstörungen, Blutungs und Thromboseneigungen schon vor der Geburt mit auf den Lebensweg gegeben.

Mit erworbenen Gerinnungsstörungen meinen MedizinerInnen solche, die sich erst im Laufe des Lebens durch Einflüsse auf den Körper ergeben. Wir haben ja eingangs schon erklärt, dass Gerinnungsstörungen häufiger werden. Diese Zunahme lässt sich bei den erworbenen Gerinnungsstörungen deutlich zeigen, und dort nochmal besonders bei den ganz kleinen Kindern.

Paradoxerweise liegt das vor allem am Fortschritt der Medizin – denn die meisten erworbenen Gerinnungsstörungen entstehen als Nebenwirkungen der Behandlung von schwersten Krebs- oder Herzerkrankungen, an denen Kinder ohne den Fortschritt in der Medizin einfach versterben würden.

So konnte ein Team um die US-amerikanische Forscherin und Kinderärztin Dr. Leslie Raffini in einer aufsehenerregenden Studie aus dem Jahr 2009 zeigen, dass sich die Zahl der Kinder, welche schwere Folgen durch Blutgerinnsel in den zum Herzen zurückführenden Adern, den Venen erlitten hatten, von 2001 bis 2007 von 34 auf 58 pro 1000 in Krankenhäusern eingewiesene Kinder erhöht und damit beinahe verdoppelt hatte. 63% der betroffenen Kinder hatten schwere Herzkreislauf- oder Krebserkrankungen.

Die drei wichtigsten Blutungsneigungen sind die Hämophilie, das von-Willebrand-Syndrom und die Gruppe der sogenannten `Faktormangelerkrankungen‘.

Der Begriff `Hämophilie‘ stammt von zwei altgriechischen Wörtern ab – von `Haimas‘ für Blut und `Philos‘ für `Freund‘. Die erbliche Erkrankung betrifft beinahe ausschließlich Männer. Es gibt verschiedene Formen der Hämophilie.

Was ist Hämophilie?

Was ist das von-Willebrand-Syndrom?

Was sind Faktormangelerkrankungen?

Was sind Antikörper?

Gerinnungserkrankungen gestern, heute und morgen.